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Gedichtzeilen waren es, die Rosemarie Bronikowski "ins Gefängnis gebracht haben" - als ehrenamtliche Betreuerin von Gefangenen

 

Die Brückenbauerin


Sein Tod 1970 treibt sie noch heute um. Ein Verkehrsunfall, den sie mit der düsteren Verfassung des Autoliebhabers verbindet. Mit Auszügen aus ihrem Buch "Ein Strafgefangener und eine bürgerliche Familie" erinnert sie jetzt erneut an Ernst S. Steffen, der die Hälfte seines kurzen Lebens (34) in Fürsorgeheimen sowie Vollzugsanstalten verbracht und sich dort zum Schriftsteller entwickelt hat. Ende der sechziger Jahre erregen Gedichte wie diese Aufsehen:
"Ich werde von mir getragen/ wie ein Anzug./ Ich hoffe,/ dass ich nach meiner Entlassung/ noch ein Leihhaus für mich finde." - "Es ist sehr schwer,/ Verbrecher zu sein,/ wenn man etwas anderes/ sein möchte./ Aber vor allem ist es schwer,/ etwas anderes zu sein,/ wenn man Verbrecher ist." - "Steffen, du bemitleidest dich!/ - Wer sonst?"


Sie nimmt Kontakt zu ihm auf. Wieder in Freiheit, wird ihr Zuhause seine "Wahlfamilie". Steffen ist als Autor erfolgreich, "jedoch durch langes Wegsperren dem Leben entfremdet"; hinzu kommen Schulden, Prozesskosten, Probleme am Arbeitsplatz, mit Frauen. "Seine Gemütsverfassung schwankte, er brauchte Mut in Form von Whiskey, aber mehr noch Mitmenschlichkeit. Mein gesichertes bürgerliches Leben verlor sein Selbstverständnis." Ihre Erinnerungen geben Einblick in Steffens "Stolperpartie" nach der Haft, werden zum berührenden Nachruf.
Bronikowski, 1922 in Sande bei Hamburg geboren, wird nach dem Studium der Zeitungswissenschaft als DRK-Schwesternhelferin ausgebildet zur Versorgung von Bombenopfern im Zweiten Weltkrieg. Jahre später wird sie Mitstreiterin gegen die Aufrüstung und Atomenergie. In zahlreichen Büchern hat sie ihre Jugend im Nationalsozialismus literarisch verarbeitet, es gibt Lyrikbände, Hörspiele.
Seit 1975 besucht sie mit einer Gesprächsgruppe einmal wöchentlich die Justizvollzugsanstalt Freiburg, um sich mit Gefangenen zu treffen; eine Art Brücke herzustellen von drinnen nach draußen mit der Möglichkeit, "etwas gegen die Abstumpfung und Verrohung der Insassen zu tun, das gegenseitige Verständnis zu fördern". In "Streiflichtern" porträtiert sie inhaftierte Teilnehmer, die von der "familiären Hölle" berichten, Sehnsucht nach einem sinnvollen Leben haben, vom Urlaub auf den Bahamas träumen oder stolz vom Schulabschluss erzählen.
Zur Belastungsprobe wird die Betreuung eines entlassenen Gefangenen, der sie mit den "Schattenseiten menschlicher Existenz" konfrontiert. Sie macht sich "auf die Suche nach dem Menschen hinter der Akte". Es gelingt ihr, "ihm zu Selbstachtung und Würde zu verhelfen, die im Anstaltsleben oft verloren gehen". Dies alles mit dem schönen Lebensmotto: "Du bist mir etwas wert."
Für ihr ehrenamtliches Engagement hat Rosemarie Bronikowski das Bundesverdienstkreuz am Bande erhalten. Ihr Herzenswunsch ist es, dass das neue Buch einige Leser dazu ermutigt, sich im Strafvollzug zu engagieren.

Buchtipp: Irgendwann wird man mich zu Ende denken. Berlin: edition fürsatz im Trescher Verlag 2003. 165 Seiten, 12 EUR
Kontakt: rbronikowski@aol.com





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Kuno Bärenbold, Schriftsteller in Karlsruhe

© Standpunkte 09/2003