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Die große alte Dame
Die Lyrikerin und Schriftstellerin
Rosemarie Bronikowski führt ein engagiertes soziales Leben
/ Von Carola Horstmann
Ganz am Anfang stand ein Gedicht: "Ein kleiner Schlag auf
die Brust, ein Griff an die Kehle" . Die Lyrikerin und Schriftstellerin
Rosemarie
Bronikowski aus Ebringen spricht hier nicht von ihren Erfahrungen
mit Häftlingen. Sie meint diesen einen "poetischen"
Moment, etwas, das
sie beim Dichten erlebt oder beim Lesen der Gedichte anderer.
Als die siebenfache Mutter vor 40 Jahren das Gedicht eines entlassenen
Strafgefangenen in der Zeitung liest, springen ihr zwei Zeilen
in die Augen:"Ich werde von mir getragen wie ein Anzug"
.
Es muss einer dieser poetischen Momente gewesen sein, denn Bronikowski
beschließt, den Verfasser zu sich nach Hause einzuladen,
spricht
vorher mit ihrer Familie. Kündigt ihn an als einen Mann,
der im Gefängnis zum Dichter geworden ist und sich schwer
tut damit, in seiner
Heimatstadt Fuß zu fassen. Für die älteren Kinder,
davon zwei schon Studenten und mächtig erfasst vom Geist
der 68-er, geht das in
Ordnung, die anderen sind einfach neugierig. Dann steht eines
Tages ein gut gekleideter Mann vor der Türe. Es ist Ernst
Steffen.
Die heute vierundachzigjährige Lyrikerin wurde vor drei
Jahren mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande für 30 Jahre
ehrenamtliches
Engagement im Freiburger Strafvollzug geehrt. Sie ist davon überzeugt,
dass der regelmäßige Kontakt mit Gefangenen in einer
Gesprächsgruppe, dem "Bürgerkreis" , langfristig
Wirkung zeigt. "Es entsteht Vertrauen" , da ist sie
sich sicher. Auch als ehrenamtliche
Betreuerin einzelner Gefangener innerhalb und außerhalb
der Vollzugsanstalt wurde sie menschlich nie enttäuscht.
Aber sie stieß auch an ihre Grenzen. Einer der Männer
neigte zur Gewalttätigkeit, trank, warf jede Arbeit hin.
Bronikowski fand heraus, dass
er Analphabet war und sich dessen so sehr schämte, dass
er eher eine weitere Straftat begangen hätte als dies zuzugeben.
Tauchte er bei
ihr zu Hause auf, suchten ihre Kinder das Weite, und der eigene
Mann äußerte zum ersten Mal ernste Bedenken. Und doch
wurde gerade
dieser Gefangene später nicht wieder straffällig.
Und auch Ernst Steffen, der Dichter mit der kriminellen Vergangenheit,
war häufig Gast in der Familie, gern gesehen, wenn auch
etwas
unberechenbar in seinem Auftauchen und Verschwinden. Doch er
passte in dieses lebhafte Haus. "Wir haben viel gelacht"
, erinnert sich
Bronikowski, auch wenn manches an seinem Verhalten Fragen aufwarf,
Fragen, die er nicht gerne hörte und ihn vertrieben.
Wie zum Beispiel die nach seinen Schulden. "Aber einer musste
es ihm ja sagen" , so Bronikowski, denn Steffen warf die
Arbeit hin, die man ihm in einer Setzerei
besorgt hat. Ein Volontariat bei verschiedenen Sendern führte
nicht weiter. Als bei Luchterhand sein Gedichtband "Lebenslänglich
auf Raten" erschien, wird er
herumgereicht, der Dichter aus dem Knast. Doch der verkraftete
die Aufmerksamkeit der Medien eher schlecht.
In der Großfamilie der Bronikowskis wurden von den Jugendlichen
inzwischen Autoritäten hinterfragt, die traditionelle Familie
in ihre Bestandteile zerlegt, die Fetzen
flogen. Und das Familienoberhaupt? "Zog sich zurück"
, erinnert sich Bronikowski, "und überließ mir
das Feld" . Und mittendrin der ehemalige Häftling,
der
Rechtsbrecher, der sich nichts mehr wünschte als ein geregeltes
bürgerliches Leben - eine verkehrte Welt! Da ist sie bereits
eine Dichterin, eine leidenschaftliche, die
gelernt hat, zwischen all den Notwendigkeiten ihres großen
Haushalts und den Aufgaben als Mutter eine "leise"
Stunde am Vormittag für sich zu ergattern. Über Steffen
lernt Bronikowski andere Schriftsteller kennen und kommt zu ihrer
ersten Lesung und einer eigenen Sendung beim Saarländischen
Rundfunk. Einige ihrer Gedichte
waren schon in den "Neuen deutschen Heften" erschienen,
und kein Geringerer als Manfred Hausmann bestätigte der
dichtenden Hausfrau und Mutter, sie seien es wert,
"dass ihretwegen das Essen mit Verspätung auf den Tisch
kommt" - dabei war es dann aber geblieben.
Die Freundschaft mit Steffen endet mit einem bitteren Nachhall.
Der begabte Dichter, dessen einziges Thema der Knast war, und
der in der Freiheit wenig
Nennenswertes zu Wege gebracht hat, rast nur zwei Jahre nach
seiner Entlassung mit dem Auto gegen einen Baum. Dieser Tod offenbart
die Zerrissenheit eines
Menschen, der mit dem Leben außerhalb der Anstalt nicht
mehr zurechtkam, obwohl ihm viele hilfreich zur Seite gestanden
hatten, nicht zuletzt seine Wahlfamilie.
Bronikowski verarbeitete ihre Trauer in einem ersten Buch. 1974
erscheint "Ein Strafgefangener und eine bürgerliche
Familie. Auseinandersetzung mit Ernst S. Steffen" .
1971 zieht die Familie nach Ebringen bei Freiburg. Nacheinander
erscheinen sechs Lyrikbände, und die Dichterin tritt erfolgreich
mit einer fünfköpfigen Jazzband in
verschiedenen Städten auf. Dem Freiburger Strafvollzug bietet
sie ihre ehrenamtliche Mitarbeit an. Bronikowski möchte
verstehen, was dort passiert mit den Menschen.
Vielleicht, um auf diese Weise noch einmal Steffen nahe sein,
der überzeugt war, dass die Haft die Menschen zerstöre,
weil sie ihnen die Selbstachtung nehme.
"Niemand fragt mich" - Diese immer wiederkehrende Anklage
hätte über Steffens Leben stehen können. Deshalb
möchte Bronikowski, dass Gefangene gefragt werden,
will ihnen Aufmerksamkeit geben - nicht ihren Straftaten, sondern
ihnen selbst.
2003 erscheint eine Neubearbeitung ihres ersten Buches, ergänzt
um weitere Erfahrungen aus dem Freiburger Strafvollzug. Der Titel
stammt aus einem Gedicht von
Steffen, mit dem damals alles angefangen hat: "Irgendwann
wird man mich zu Ende denken"
Im vergangenen Jahr gab sie einen neuen
Gedichtband heraus:
"Kopfstand auf schwarzem Roß" . "Das Alter
zu verstehen als die Zeit, in der alles Leben zusammenfällt
und die Spanne zur Kindheit mitunter so kurz erscheint wie die
zum Tod, ist ein Leitmotiv in diesen neuen, eindringlichen Gedichten"
, schreibt BZ-Rezensent Stefan Tolksdorf und: "Mit feinen
sprachlichen Verdrehtheiten bietet die
große alte Dame der badischen Literatur jenem Dunkel Paroli,
das, wie Hesse schreibt, ,unentrinnbar und leise von allem uns
trennt " .
Rosemarie Bronikowski ist nicht nur eine große alte Dame
der badischen Literatur: Bis heute arbeitet sie ehrenamtlich
in der Freiburger Justizvollzugsanstalt. Gegen
Aufrüstung, Atomenergie und zuletzt gegen den Irak-Krieg
ist sie auf die Straße gegangen, ist Mitglied der Freiburger
Friedenswoche, war Mitbegründerin des
Literaturforums Südwest und engagiert sich im Schriftstellerverband
Baden-Württemberg.
Bücher : Rosemarie Bronikowski, "Irgendwann
wird man mich zu Ende denken" (2003), 166 Seiten, 9,90 Euro;
"Kopfstand auf schwarzem Roß" (2005), 80 Seiten,
12
Euro (beide zu bestellen über post@trescherverlag.de)
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