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 aus © Badische Zeitung vom Montag, 18. September 2006
 
 

     
     
     
Die große alte Dame
Die Lyrikerin und Schriftstellerin Rosemarie Bronikowski führt ein engagiertes soziales Leben / Von Carola Horstmann

Ganz am Anfang stand ein Gedicht: "Ein kleiner Schlag auf die Brust, ein Griff an die Kehle" . Die Lyrikerin und Schriftstellerin Rosemarie
Bronikowski aus Ebringen spricht hier nicht von ihren Erfahrungen mit Häftlingen. Sie meint diesen einen "poetischen" Moment, etwas, das
sie beim Dichten erlebt oder beim Lesen der Gedichte anderer. Als die siebenfache Mutter vor 40 Jahren das Gedicht eines entlassenen
Strafgefangenen in der Zeitung liest, springen ihr zwei Zeilen in die Augen:"Ich werde von mir getragen wie ein Anzug" .


Es muss einer dieser poetischen Momente gewesen sein, denn Bronikowski beschließt, den Verfasser zu sich nach Hause einzuladen, spricht
vorher mit ihrer Familie. Kündigt ihn an als einen Mann, der im Gefängnis zum Dichter geworden ist und sich schwer tut damit, in seiner
Heimatstadt Fuß zu fassen. Für die älteren Kinder, davon zwei schon Studenten und mächtig erfasst vom Geist der 68-er, geht das in
Ordnung, die anderen sind einfach neugierig. Dann steht eines Tages ein gut gekleideter Mann vor der Türe. Es ist Ernst Steffen.
Die heute vierundachzigjährige Lyrikerin wurde vor drei Jahren mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande für 30 Jahre ehrenamtliches
Engagement im Freiburger Strafvollzug geehrt. Sie ist davon überzeugt, dass der regelmäßige Kontakt mit Gefangenen in einer
Gesprächsgruppe, dem "Bürgerkreis" , langfristig Wirkung zeigt. "Es entsteht Vertrauen" , da ist sie sich sicher. Auch als ehrenamtliche
Betreuerin einzelner Gefangener innerhalb und außerhalb der Vollzugsanstalt wurde sie menschlich nie enttäuscht.


Aber sie stieß auch an ihre Grenzen. Einer der Männer neigte zur Gewalttätigkeit, trank, warf jede Arbeit hin. Bronikowski fand heraus, dass
er Analphabet war und sich dessen so sehr schämte, dass er eher eine weitere Straftat begangen hätte als dies zuzugeben. Tauchte er bei
ihr zu Hause auf, suchten ihre Kinder das Weite, und der eigene Mann äußerte zum ersten Mal ernste Bedenken. Und doch wurde gerade
dieser Gefangene später nicht wieder straffällig.
Und auch Ernst Steffen, der Dichter mit der kriminellen Vergangenheit, war häufig Gast in der Familie, gern gesehen, wenn auch etwas
unberechenbar in seinem Auftauchen und Verschwinden. Doch er passte in dieses lebhafte Haus. "Wir haben viel gelacht" , erinnert sich
Bronikowski, auch wenn manches an seinem Verhalten Fragen aufwarf, Fragen, die er nicht gerne hörte und ihn vertrieben.
Wie zum Beispiel die nach seinen Schulden. "Aber einer musste es ihm ja sagen" , so Bronikowski, denn Steffen warf die Arbeit hin, die man ihm in einer Setzerei
besorgt hat. Ein Volontariat bei verschiedenen Sendern führte nicht weiter. Als bei Luchterhand sein Gedichtband "Lebenslänglich auf Raten" erschien, wird er
herumgereicht, der Dichter aus dem Knast. Doch der verkraftete die Aufmerksamkeit der Medien eher schlecht.


In der Großfamilie der Bronikowskis wurden von den Jugendlichen inzwischen Autoritäten hinterfragt, die traditionelle Familie in ihre Bestandteile zerlegt, die Fetzen
flogen. Und das Familienoberhaupt? "Zog sich zurück" , erinnert sich Bronikowski, "und überließ mir das Feld" . Und mittendrin der ehemalige Häftling, der
Rechtsbrecher, der sich nichts mehr wünschte als ein geregeltes bürgerliches Leben - eine verkehrte Welt! Da ist sie bereits eine Dichterin, eine leidenschaftliche, die
gelernt hat, zwischen all den Notwendigkeiten ihres großen Haushalts und den Aufgaben als Mutter eine "leise" Stunde am Vormittag für sich zu ergattern. Über Steffen
lernt Bronikowski andere Schriftsteller kennen und kommt zu ihrer ersten Lesung und einer eigenen Sendung beim Saarländischen Rundfunk. Einige ihrer Gedichte
waren schon in den "Neuen deutschen Heften" erschienen, und kein Geringerer als Manfred Hausmann bestätigte der dichtenden Hausfrau und Mutter, sie seien es wert,
"dass ihretwegen das Essen mit Verspätung auf den Tisch kommt" - dabei war es dann aber geblieben.


Die Freundschaft mit Steffen endet mit einem bitteren Nachhall. Der begabte Dichter, dessen einziges Thema der Knast war, und der in der Freiheit wenig
Nennenswertes zu Wege gebracht hat, rast nur zwei Jahre nach seiner Entlassung mit dem Auto gegen einen Baum. Dieser Tod offenbart die Zerrissenheit eines
Menschen, der mit dem Leben außerhalb der Anstalt nicht mehr zurechtkam, obwohl ihm viele hilfreich zur Seite gestanden hatten, nicht zuletzt seine Wahlfamilie.
Bronikowski verarbeitete ihre Trauer in einem ersten Buch. 1974 erscheint "Ein Strafgefangener und eine bürgerliche Familie. Auseinandersetzung mit Ernst S. Steffen" .
1971 zieht die Familie nach Ebringen bei Freiburg. Nacheinander erscheinen sechs Lyrikbände, und die Dichterin tritt erfolgreich mit einer fünfköpfigen Jazzband in
verschiedenen Städten auf. Dem Freiburger Strafvollzug bietet sie ihre ehrenamtliche Mitarbeit an. Bronikowski möchte verstehen, was dort passiert mit den Menschen.
Vielleicht, um auf diese Weise noch einmal Steffen nahe sein, der überzeugt war, dass die Haft die Menschen zerstöre, weil sie ihnen die Selbstachtung nehme.

"Niemand fragt mich" - Diese immer wiederkehrende Anklage hätte über Steffens Leben stehen können. Deshalb möchte Bronikowski, dass Gefangene gefragt werden,
will ihnen Aufmerksamkeit geben - nicht ihren Straftaten, sondern ihnen selbst.
2003 erscheint eine Neubearbeitung ihres ersten Buches, ergänzt um weitere Erfahrungen aus dem Freiburger Strafvollzug. Der Titel stammt aus einem Gedicht von
Steffen, mit dem damals alles angefangen hat: "Irgendwann wird man mich zu Ende denken"

Im vergangenen Jahr gab sie einen neuen Gedichtband heraus:
"Kopfstand auf schwarzem Roß" . "Das Alter zu verstehen als die Zeit, in der alles Leben zusammenfällt und die Spanne zur Kindheit mitunter so kurz erscheint wie die
zum Tod, ist ein Leitmotiv in diesen neuen, eindringlichen Gedichten" , schreibt BZ-Rezensent Stefan Tolksdorf und: "Mit feinen sprachlichen Verdrehtheiten bietet die
große alte Dame der badischen Literatur jenem Dunkel Paroli, das, wie Hesse schreibt, ,unentrinnbar und leise von allem uns trennt " .


Rosemarie Bronikowski ist nicht nur eine große alte Dame der badischen Literatur: Bis heute arbeitet sie ehrenamtlich in der Freiburger Justizvollzugsanstalt. Gegen
Aufrüstung, Atomenergie und zuletzt gegen den Irak-Krieg ist sie auf die Straße gegangen, ist Mitglied der Freiburger Friedenswoche, war Mitbegründerin des
Literaturforums Südwest und engagiert sich im Schriftstellerverband Baden-Württemberg.


Bücher : Rosemarie Bronikowski, "Irgendwann wird man mich zu Ende denken" (2003), 166 Seiten, 9,90 Euro; "Kopfstand auf schwarzem Roß" (2005), 80 Seiten, 12
Euro (beide zu bestellen über post@trescherverlag.de)

 
     
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