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 aus © Badische Zeitung vom 12.12. 2000
 
 

 

Der poetische Augenblick

Bravouröse Prosastücke von Rosemarie Bronikowski

"Das Repertoire meines Lebens kenne ich auswendig, wie der Schauspieler das Stück", bekennt Rosemarie Bronikowski: "Ich würde es lieber vergessen, als es ständig zu wiederholen."Eine der wenigen Stellen in ihrem neuen Buch, wo sie die Ichform nicht scheut. Aus dem Repertoire ihres Lebenstheaters zaubert die 78-jänrige Poetin aus Ebringen - man darf sie getrost die große alte Dame der südbadischen Literatur nennen - dennoch oder gerade deshalb manches Bravourstück. Denn: "Erinnerung zaubert sich neu, mozartopemhaft leicht."

"Ein Schiff in der Wüste": der Titel ihres Prosabandes ist Programm. Quasi naturgesetzlich getrennte Lebenssphären werden in poetischem Spiel zusammengedacht: paradoxe Gefilde der seligen Gelassenheit, irgendwo im Meer des Alltags, zwischen Bitternis und Burleske, Inseln, vor denen man gern den Anker auswirft. Sucht man nach Vergleichen - eigentlich sollte man es nicht - kommen Eichs "Maulwürfe" in den Sinn, die surreale Phantasie eines Jean Arp oder die späte Prosa von Hildesheimer. Doch trifft dies nicht die schwere Leichtigkeit im Ton dieser Autorin, die Gott im Nussbaum sitzen und mit hellgrün glänzenden Früchten jonglieren lässt, zugleich das Herz ironisch ein "Ersatzteil"nennt, das zum Dichterwort nicht mehr taugt Vehement besteht diese Stimme auf poetischer Autonomie:

"Lernt erdulden, dass jemand sich verbittet, am Hinfallen gehindert zu werden, selbst wenn er zum Aufstehen keine Kraft mehr besitzt"

Texte von zauberhaft schwebender Ambivalenz

Rosemarie Bronikowski aber strauchelt nie in diesen 65 kurzen, oft nicht mehr als vier Zeilen langen Stücken zwischen Prosa und Poesie, in denen religiöse Mythen, Märchen und mediale Gegenwart sich lakonisch durchdringen. Wo spielt es nun, das eigentliche Leben, wenn die Epiphanie jenseits des Flusses sich als Fernsehbild entpuppt, wenn die Zeit allenfalls im flüchtigen Blick aufs Meer sekundenlang stillsteht: "Ein Segel steht dort unverrückbar am Horizont, und die Möwe darüber bin ich?"

Dies ist die Antwort: Der poetische Augenblick, eine durch Töne und "den schwachen Duft nach Honig" evozierte Erinnerung an "das eigentliche Bild" ist fernab jeden Heils eine Art von Verheißung, die sich am ehesten im Medium Literatur noch erfüllt: "Seit jeher hat es Schiffe gegeben, deren Routen auf keiner Seekarte verzeichnet sind, deshalb werden sie nicht vermisst. Die Passagiere schreiben Briefe auf blau liniertem Papier. Sie schreiben vom Salz in den Augen, vom Salz auf den Lippen, vom Salz im Mund, doch mit keiner Zeile vom Wasser. Die Empfänger müssten verdursten, kämen die Briefe je an. Sie kommen nicht an, weil die Küsten sich ständig entfernen und das Meer an Vergesslichkeit zunimmt. Trotzdem soll es Menschen geben, die ein durchnässtes Papier an die Lampe halten und glauben, darauf eine Schrift zu erkennen."

Texte von solch zauberhaft schwebender Ambivalenz finden sich manche in diesem Band - ein spätes Kabinettstück dieser leider noch allzu unbekannten Autorin. Kein Wunder, dass gerade die Polen Gefallen daran finden. Antoni Buchner hat das Büchlein ins Polnische übersetzt, der Künstler Eugeniusz Jozefowski hat es mit skurrilen Graphiken illustriert. Bleibt zu hoffen, dass Bronikowskis Arche in der Wüste (der Feuilletons) nicht unentdeckt bleibt. Es steckt viel Leben in ihr.

Stefan Tolksdorf